Supply Chain Viability
Ursprung und Begriffsklärung
Der Begriff „Supply Chain Viability“ (SCV) bezeichnet die Fähigkeit von Lieferketten, langfristig leistungsfähig, resilient und nachhaltig zu funktionieren. Im Gegensatz zu klassischen Ansätzen, die primär auf Effizienz ausgerichtet sind, strebt SCV ein Gleichgewicht zwischen Effizienz, Resilienz und Nachhaltigkeit an. Der Begriff „Viability” geht über kurzfristige Wirtschaftlichkeit hinaus und steht für die dauerhafte Funktionsfähigkeit unter sich wandelnden Rahmenbedingungen.
Entstehungskontext und wissenschaftlicher Hintergrund
Das Konzept entstand vor dem Hintergrund zunehmender globaler Krisen (von der Corona-Pandemie über die Blockade des Suezkanals bis hin zu geopolitischen Spannungen). Diese Ereignisse haben deutlich gemacht, dass Lieferketten, die ausschließlich auf Effizienz ausgerichtet sind, anfällig für Störungen sind. Gleichzeitig steigt der Druck, ökologische und soziale Standards in Wertschöpfungsketten zu integrieren. SCV wurde als Antwort auf diese Herausforderungen entwickelt und 2020 erstmals durch die beiden Forscher Ivanov und Dolgui eingeführt. Das hier vorgestellte Projekt greift diese ersten Ansätze auf und entwickelt sie weiter zu einem für Unternehmen praktisch anwendbaren Konzept.
Ziele und Motivation
Warum braucht es Supply Chain Viability?
Lieferketten sehen sich einem strukturellen Dilemma gegenüber: Effizienz, Resilienz und Nachhaltigkeit lassen sich nicht unabhängig voneinander optimieren. Jede Dimension beeinflusst die anderen, häufig in Form von Zielkonflikten. SCV zielt nicht darauf ab, dieses Spannungsfeld zu eliminieren, sondern es produktiv zu gestalten. Das Ziel besteht darin, auch unter volatilen, komplexen und unsicheren Rahmenbedingungen funktionsfähig zu bleiben.

Welche Herausforderungen adressiert das Konzept?
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Überfokussierung auf Effizienz erhöht die Störanfälligkeit.
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Resilienzmassnahmen wie Lageraufbau oder Mehrlieferantenstrategien können ökologische Ziele konterkarieren.
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Nachhaltigkeitsinitiativen scheitern oft an mangelnder Integration in die operativen Lieferkettenprozesse.
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SCV erkennt diese Zielkonflikte an und bietet eine konzeptionelle und operative Grundlage, um damit umzugehen.
Relevanz für Unternehmen und Forschung
SCV bietet Unternehmen einen Orientierungsrahmen, um strategische Lieferkettenentscheidungen langfristig tragfähig zu gestalten. In der Forschung eröffnet SCV neue Perspektiven auf die Integration und Operationalisierung konkurrierender Ziele in einem dynamischen Umfeld.
Referenzmodell zur Supply Chain Viability
Aufbau und zentrale Elemente
Das SCV-Referenzmodell basiert auf einem systemischen Verständnis und hat seinen Ursprung in der Biologie (Ulanowicz-Modell). Eine lebensfähige Lieferkette befindet sich im dynamischen Gleichgewicht zwischen Effizienz, Resilienz und Nachhaltigkeit. Dieses Gleichgewicht ist kontextabhängig und verschiebt sich je nach externen Bedingungen wie Krisen, Regulierungen oder Technologieveränderungen.

Verbindung zu Effizienz, Resilienz und Nachhaltigkeit
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Effizienz sichert kurzfristige Wirtschaftlichkeit unter stabilen Bedingungen.
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Resilienz erhöht die Anpassungsfähigkeit und Krisenfestigkeit.
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Nachhaltigkeit stellt die langfristige gesellschaftliche und ökologische Legitimität sicher.
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Die Herausforderung besteht darin, nicht eine dieser Dimensionen zu maximieren, sondern ein stimmiges, kontextabhängiges Gleichgewicht zu schaffen.

Rolle von Trade-offs und Stakeholder-Perspektiven
​Trade-offs sind ein integraler Bestandteil des SCV-Modells. Anstatt sie zu vermeiden, werden sie systematisch identifiziert und aktiv gemanagt. Dabei spielt der Stakeholder-Dialog eine zentrale Rolle: Die Anforderungen und Erwartungen interner wie externer Akteure (Kunden, Lieferanten, Gesetzgeber etc.) werden einbezogen und in Zielsysteme übersetzt.​
Ausblick: Von Viability zu Livability
Erweiterung des SCV-Konzepts
Supply Chain Viability stellt einen Meilenstein in der zielgerichteten Weiterentwicklung von Lieferketten dar. Doch die Reise geht weiter: Mit dem Konzept der Supply Chain Livability wird die soziale Dimension explizit berücksichtigt. Neben wirtschaftlicher und ökologischer Nachhaltigkeit rückt damit auch die soziale Tragfähigkeit in den Fokus, die sich beispielsweise in fairen Arbeitsbedingungen, Erschwinglichkeit oder gesellschaftlichem Nutzen manifestiert.

Erste Gedanken, Unterschiede, Potenziale
Während sich SCV auf das nachhaltige Überleben der Lieferkette konzentriert, steht bei Livability die Lebensqualität im Mittelpunkt (insbesondere für Mitarbeitende, Kunden, Gesellschaft und Umwelt). Es geht nicht nur um Widerstandskraft, sondern auch darum, Lieferketten aktiv zu gestalten und eine positive Wirkung zu erzielen.